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brot_statt_sprit [2006/09/29 17:45] (aktuell) |
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+ | ====== Brot statt Sprit ====== | ||
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+ | **Von Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf und Hannes Lorenzen** | ||
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+ | Der starke Anstieg der Rohölpreise hat die Suche nach alternativen Energiequellen forciert. Den Bauern wird von der Treibstoffindustrie eingeredet, ihre Zukunft läge vor allem im Anbau von Energiepflanzen für Ethanol und Biodiesel. Lebensmittel dagegen sind am Markt immer weniger wert, weil die international aufgestellte Lebensmittelindustrie die Preise nach unten drücken kann und am meisten von staatlichen Subventionen profitiert. Pflanzenöle sind im Supermarkt oft billiger als der Sprit an der Tankstelle. Es ist vielfach rentabler, Getreide zu verbrennen, als damit Brot zu backen oder Nutztiere zu füttern. Die Euphorie um pflanzliche Treibstoffe könnte aber schon bald die Ernährungssicherheit gefährden. | ||
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+ | Die Herstellung von pflanzlichen Treibstoffen ist kein Patentrezept gegen den Klimawandel. Alle grünen Pflanzen vermindern C02, indem sie es in Zucker und Sauerstoff umwandeln. Aber die gegenwärtigen landwirtschaftlichen Praktiken beim Anbau von Mais, Getreide, Zuckerrohr, Palmöl und Soja für die Herstellung von Treibstoffen basieren vollständig auf Mineralöl. Mathematische Modelle und Studien, die dem Anbau von pflanzlichen Treibstoffen positive Energiebilanzen bescheinigen, | ||
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+ | ===== Öldurst der Lebensmittelindustrie ===== | ||
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+ | Die industrialisierte Landwirtschaft und die internationale Lebensmittelindustrie gehören zu den weltweit größten Energieverbrauchern. Dünger und andere chemische Zusätze, Maschinenanlagen, | ||
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+ | Der Boom bei pflanzlichen Treibstoffen spiegelt eine Lebensmittelerzeugung wider, die nicht nachhaltig ist. Niedrigpreise für Lebensmittel provozieren regelmäßig Lebensmittelskandale und nehmen Umwelt- und Gesundheitsschäden, | ||
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+ | ===== Gefahr für Regenwälder ===== | ||
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+ | Die EU ist weltweit der größte Netto-Importeur von Lebens- und Futtermitteln. Viele Millionen Hektar Ackerland außerhalb der EU und viele Millionen Tonnen Erdöl sind nötig, um die gegenwärtig konsumierte Menge an Lebensmitteln anbieten zu können. Um den Mineralölimport zu reduzieren und somit die Auswirkungen des Klimawandels zu mindern, müsste die EU ihr großes Potential an Energieeinsparungsmöglichkeiten und eine bessere Verwendung von Abfallstoffen vorantreiben, | ||
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+ | Palmöl-Plantagen für pflanzliche Treibstoffe brechen immer weiter in die tropischen Regenwälder ein. Malaysia produziert jährlich nahezu fünf Millionen Tonnen Palmöl. Diese Plantagen waren für 87 Prozent der Regenwaldabholzungen zwischen 1985 und 2000 verantwortlich. Jetzt sollen weitere sechs Millionen Hektar Regenwald in Malaysia, und 16,5 Millionen Hektar in Indonesien den Palmöl-Plantagen weichen. In Brasilien werden weiter Regenwälder für den Anbau von Sojabohnen und Zuckerrohr abgeholzt. Brasilien ersetzt bereits 40 Prozent des verbrauchten Mineralöls mit pflanzlichem Treibstoff aus Zuckerrohr und Soja und will zusätzlich große Mengen Ethanol und Sojadiesel exportieren. Brasilien will die Autoabgase wesentlich reduzieren, aber tatsächlich sind 80 Prozent der Treibhausgase des Landes auf die Abholzung des Regenwaldes zurückzuführen. | ||
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+ | ===== Autobesitzer gegen Arme ===== | ||
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+ | Der gegenwärtige Boom beim weltweiten Anbau von Plantagen für pflanzliche Treibstoffe führt zu einer gefährlichen Konkurrenz zwischen den 800 Millionen Autobesitzern und den zwei Milliarden Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Weltweit werden Autobesitzer auch in Zukunft in der Lage sein, Lebensmittel und Sprit zu kaufen, während die Mehrheit der Armen nichts zu essen hat. In den USA werden jetzt Milliarden von Dollar in die neuen Ethanol- und Sojadiesel-Raffinerien investiert. Ein Sechstel der gesamten Maisernte des Landes geht schon heute in die Treibstoffproduktion, | ||
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+ | Bevor die Landwirtschaft Mineralöl in Essen verwandelte, | ||
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+ | Die derzeitigen Methoden der pflanzlichen Treibstoff-Produktion basieren auf Monokulturen, | ||
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+ | Erneuerbare Energien können aus der Landwirtschaft kommen, wenn sie Teil einer energiesparenden und Effizienz steigernden Strategie sind. Die Landwirtschaft kann ihre Energie-Effizienz wesentlich verbessern, wenn sie sich von einem Import abhängigen System zu einem System des lokalen Mehrfachnutzung von Energie entwickelt. Alles organische Abfallmaterial muss optimal verwertet, Ackerbau und Viehzucht wieder integriert und moderne erneuerbare Energiesysteme (Solarenergie, | ||
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+ | ===== Gefräßige Reiche ===== | ||
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+ | Die Weltmeister des Wirtschaftswachstums - zu denen jetzt China, Brasilien und Indien gehören - greifen nach immer mehr Energie, was bald dazu führen könnte, dass der Hunger sich weltweit ausbreitet. Die rapide steigende Nachfrage nach nicht erneuerbarer Energie untergräbt das Recht der Menschen auf Nahrung. Nordamerika und Europa verbrauchen 63 Prozent des weltweiten Mineralöls und 40 Prozent der verfügbaren Kalorien, mit nur 16 Prozent der Weltbevölkerung. Der zunehmende Fleischkonsum - für die Produktion von einer Kalorie Fleisch sind 10 Kalorien erforderlich - und die zunehmende Verschwendung von Lebensmitteln in der Nahrungsmittelkette (heutzutage landen ca. 35 Prozent der Nahrungsmittel der Industriestaaten im Abfall) müssen erste Angriffspunkte für eine Strategie zur Verbesserung der weltweiten Ernährungssicherung werden. Nur durch eine drastische Reduzierung des Energiekonsums und der Lebensmittelverschwendung der Industrieländer und vorrangige Investitionen in nachhaltige Lebensmittelversorgung in den Entwicklungsländern kann Konflikten und Kriegen um Nahrung und Energie vorgebeugt werden. | ||
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+ | Die EU muss der Euphorie in der Pflanzentreibstofferzeugung entgegenwirken. Sie sollte sich auf Fördermaßnahmen konzentrieren, | ||
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+ | Die EU sollte eine verbindliche Zertifizierung für europäische und importierte pflanzliche Treibstoffe einführen, die auf den geltenden Umwelt- Gesundheits- und Lebensmittelstandards basiert. Sie muss durch die Gleichstellung der Anbauvorschriften sicherstellen, | ||
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+ | ===== Die Autoren: ===== | ||
+ | Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf ist Vizepräsident des Agrarausschusses im Europäischen Parlament. Der staatlich geprüfte Landwirt sitzt seit 1984 für die Grünen im Europaparlament. Hannes Lorenzen ist Entwicklungs- soziologe und Landwirt. Er berät die europäischen Grünen im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des Europaparlaments. Den hier leicht gekürzt wiedergegebenen Beitrag erarbeiteten die beiden für eine Konferenz der europäischen Grünen über nachwachsende Rohstoffe vergangene Woche in Helsinki. |